Psychische Gesundheit in Veränderungsprozessen erhalten

 

Verschiedene Erhebungen zeigen, dass ein großer Anteil der Arbeitnehmenden in Deutschland mit ihrer Arbeit nicht zufrieden ist. Folgt man den Zahlen des Gallup-Engagement-Index, dann können sich 85 % der Befragten nicht oder nur in geringen Maße mit ihrer Arbeit oder ihrem Arbeitgeber identifizieren. Gleichzeitig betonen arbeits- und organisationspsychologische Untersuchungen die Bedeutung der emotionalen Mitarbeiterbindung, nicht nur für die Arbeitsmotivation und die berufliche Leistungsfähigkeit, sondern auch für den Erhalt der psychologischen Gesundheit.

Eine besondere Herausforderung besteht bei jenen Mitarbeitergruppen, die sich, entgegen ihres bisherigen Berufslebens, plötzlich starken oder häufigen Veränderungsprozessen bis hin zum Arbeitsplatzwechsel gegenübersehen. In der Regel werden dabei stabile und vorhersehbare Bedingungen durch ein hohes Maß an Unsicherheit verdrängt. Diese Prozesse können eine große Belastung für die Psyche darstellen, da berufliche Anforderungen und regelmäßige Tagesabläufe sich verändern sowie soziale Kontakte zu Kollegen verloren gehen. Nicht selten kann man in der Folge ein Absinken des Selbstwertgefühls, der Zufriedenheit und der Leistungsfähigkeit der Betroffenen beobachten, während Leistungsdruck, Ängste und Stressempfinden zunehmen.

 


Das Job-Characteristics-Model (JCM) zum Erhalt psychischer Gesundheit in Veränderungsprozessen

Die Arbeits- und Organisationspsychologie bietet für die Gestaltung solcher Prozesse verschiedene Zugänge. In Theorie und Praxis hat sich die Gestaltung von Tätigkeiten nach dem Job-Characteristics-Model (JCM) bewährt. Arbeiten werden dann als positiv und zufriedenstellend erlebt, wenn sie die Prinzipien Autonomie, Rückmeldung, Sinnhaftigkeit, Ganzheitlichkeit und Aufgabenvielfalt erfüllen.

Die Bewertung eigener Tätigkeiten hängt jedoch stark von der individuellen Sichtweise ab. An dieser Stelle greift das Konzept des psychologischen Vertrages. Demnach existiert zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine informelle Austauschbeziehung, die auf bestimmten (Verhaltens-)Erwartungen und (Verhaltens-)Angeboten basiert. Diese impliziten Regelungen entstehen durch Vereinbarungen, mündliche Absprachen oder Verhaltensweisen und bilden eine Erweiterung des formalen Arbeitsvertrages. Allerdings entstehen hierdurch keine juristischen Ansprüche der Vertragsparteien. Die Nichterfüllung von Erwartungen kann zu sogenannten Vertragsverletzungen führen, die sich auf der emotionalen Ebene ausdrücken und zur inneren Kündigung, abnehmende Zufriedenheit oder Unsicherheit führen können. Psychologische Verträge können sich zwischen Mitarbeitern der gleichen Organisation stark unterscheiden und sich im Zeitverlauf verändern.


Der psychologische Vertrag

Um die psychischen Belastungen von Veränderungsprozessen für die Betroffenen zu reduzieren, muss letztlich eine wechselseitige Betrachtung von Situation und Person erfolgen. Hierbei spielt die subjektive Bewertung von Veränderungen eine große Rolle für das eigene Wohlbefinden sowie für die Offenheit für Neues. Untersuchungen des Autors bei leistungsgewandelten und langzeiterkrankten Mitarbeitern der Deutschen Bahn zeigen, dass über 80 % der Betroffenen mit starken Enttäuschungen, Ängsten und Unsicherheiten bzgl. ihrer Berufssituation konfrontiert waren. Konnten die damit verbundenen psychologischen Vertragsverletzungen nicht korrigiert werden, war es den Mitarbeitern in der Regel nicht möglich motiviert, eigeninitiativ oder hoffnungsvoll die ihnen sich bietenden neuen Möglichkeiten anzunehmen. Vielmehr dominierten negative Emotionen und Einstellungen, wie die der eigenen Perspektiv- und Wertlosigkeit oder das Gefühl abgeschoben worden zu sein.

Konkrete Handlungsansätze lassen sich daher zunächst in der Individualisierung von Übergangsprozessen finden. Diese sollten nicht nur frühzeitig kommuniziert, sondern auch in der Folge transparent gestaltet werden. Dazu gehört es auch künftige Erwartungen und Angebote an die sich verändernde Situation herauszuarbeiten und permanent zu reflektieren. Darüber hinaus können unternehmensinterne (soziale) Netzwerke, klare Zielvorstellungen, aktive Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen sowie die Berücksichtigung vorhandener Kompetenzen und Stärken dazu beitragen, die Ressourcen der Mitarbeiter im positiven Sinne zu nutzen.

 


Autor: Christian Tracht, Teilnehmer des Young-Health-Experts-Programms


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