Eine Befragung des Kölner Instituts für angewandte Gesundheitswissenschaften unter der Leitung von Prof. Allmer zeigte, dass 63% der Berufstätigen in Deutschland sich nicht angemessen erholen. Da erfolgreiche Erholung von der Arbeit mit psychischem und physischem Wohlbefinden einhergeht (Sonnentag und Fritz, 2007) und somit vermutlich auch die Produktivität am Arbeitsplatz positiv beeinflusst, soll hier näher auf dieses Thema eingegangen werden. Zunächst soll beschrieben werden, wie Erholung definiert und gemessen werden kann, welche Einflussfaktoren auf Erholung einwirken und welche Auswirkungen Erholung hat (Teil I). Anschließend soll beleuchtet werden, wie die Erkenntnisse der Erholungsforschung praktisch umgesetzt werden können.
Die wissenschaftliche Sicht auf Erholung
Definition von Erholung
Gemäß der Einschätzung von Wieland-Eckelmann und Kollegen (1994) gibt es bisher keine „umfassende Theorie der Erholung“. Trotz der noch herrschenden Uneinigkeit, möchte ich auf folgende zwei wesentliche Merkmale von Erholung eingehen. Erstens, stellt laut Allmer (2006) Erholung ein Ausgleich von Überforderungs- und Unterforderungszuständen dar. Erholung kann folglich, entgegen dem Alltagsverständnis, auch ein Zustand der Anspannung sein.
Die Befunde von Trenberth, Dewe, und Walkey (1999) deuten darauf hin, dass passive Formen eher mit der Erholung mit einem besseren Umgang mit Arbeitsstress einhergehen, als aktive Formen der Erholung.
Jemand, der einer monotonen und unterfordernden Arbeit nachgeht, sollte sich in seiner Freizeit Herausforderungen suchen, um sich optimal zu erholen. Es wird angenommen, dass Erholung nur stattfindet, wenn zuvor beanspruchte Ressourcen in der Erholungsphase nicht länger beansprucht werden. Ferner wird Erholung als ein dynamisches, bio-psycho-soziales Geschehen betrachte (Allmer, 2006). Damit ist gemeint, dass sowohl Prozesse auf der Ebene des Körpers und des Gehirns; als auch Gedanken, Emotionen und individuelle Bewertungsstile und ferner soziale Unterstützung und soziale Konflikte auf den Erholungsprozess einwirken. Noch nicht vollkommen geklärt ist die Frage, ob erfolgreiche Erholung eher als ein aktiver (Hobfoll, 1998) oder ein passiver Prozess (Meijman & Muldner, 1998) zu verstehen ist.
Erfassung von Erholung
Sonnentag und Fritz (2007) haben einen Fragebogen entwickelt, der Erholungsverhalten messen soll. Der Recovery Experience Questionnaire (REQ) (siehe Anhang 2) soll anhand von vier Dimensionen erfassen, wie Individuen sich erholen und Abstand zur Arbeit gewinnen. In ihrem Fragebogen wird angenommen, dass folgende vier psychische Faktoren zur Erholung beitragen.
1. Mit psychischer Distanz von der Arbeit ist nicht nur physischer, sondern auch mentaler Abstand von der Arbeit in Erholungsphasen gemeint. Man geht keinen arbeitsbezogenen Tätigkeiten mehr nach, z.B. dem Lesen von Emails, und denkt auch nicht über arbeitsbezogene Probleme oder Chancen nach. Eine Frage dieser Dimension ist z.B.: „In meiner Freizeit denke ich überhaupt nicht über die Arbeit nach“.
2. Entspannung wird charakterisiert als “ein Zustand geringer Aktivität und gesteigertem positivem Affekt” (Stone, Kennedy-Moore, & Neale, 1995 in Sonnentag & Fritz, 2007). Eine Frage ist z.B.: „Ich nutze meine freie Zeit um mich zu entspannen“.
3. Mastery meint, dass man sich in seiner Freizeit Herausforderungen sucht, die in anderen Bereichen liegen als die arbeitsbezogenen Herausforderungen. In dieser Dimension manifestiert sich die Annahme, dass Erholung nicht nur in einem passiven Zustand stattfindet, sondern auch in einem aktiven Zustand. Eine Frage ist z.B.: „Ich tue Dinge, die mich herausfordern“.
4. Kontrolle über die Freizeitgestaltung: Diese Dimension stützt sich auf die Überlegung, dass Menschen danach streben Kontrolle über ihr Leben auszuüben und selbst bestimmen möchten, wie sie ihr Leben gestalten, sowohl im Beruf als auch in der Freizeit. Eine Frage ist z.B.: „Ich bestimme selbst, wie ich meine Zeit verbringe“.
Der Fragebogen ist relativ kurz (16 Fragen) und weist eine gute Messgenauigkeit auf. Die Autorinnen kritisieren jedoch selbst, dass der Bereich des Sozialkontakts in ihrem Fragebogen zu wenig berücksichtig wird.
Einflussfaktoren auf Erholung und Erholungskonsequenzen
Sonnentag und Fritz (2007) zeigten, dass situative Variablen des Berufs, wie z.B. Arbeitsbelastung in Form von Zeitdruck oder Überstunden, situative Einschränkungen und Rollenambiguitäten mit den meisten Dimensionen ihres Erholungsfragebogens zusammenhängen. Neben Persönlichkeitsfaktoren scheinen auch Stressbewältigungsstile, wie z.B. die Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung, mit gelungener Erholung zusammenzuhängen. Es erscheint plausibel diese genannten Variablen als Einflussfaktoren auf den Erholungsprozess zu betrachten, jedoch erlaubt die Studie von Sonnentag und Fritz (2007) nur bedingt Aussagen über die Wirkungsrichtung von Zusammenhängen. Die Autorinnen zeigten ferner, dass moderate Zusammenhänge zwischen den Dimensionen des REQ und Variablen des psychischen Wohlbefindens bestehen, wie z.B. emotionaler Stabilität, Gesundheitsbeschwerden, Burnout, depressiven Symptomen, Lebenszufriedenheit und Schlafproblemen. Es kann angenommen werden, dass diese Variablen durch die Qualität der Erholung beeinflusst werden.
Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Erholungsforschung in die Praxis
7 Tipps für eine optimale Erholung
Sabine Sonnentag gab in einem Interview folgende „Tipps für eine optimale Erholung“ (Wirtschaftspsychologie aktuell):
- in der Freizeit einem Hobby oder einem Sport nachgehen, das einem gut tut
- die Anforderungen, die die Arbeit bestimmen, in der Freizeit vermeiden
- besonders häufig mal abschalten, wenn man viel und lange arbeitet
- seine Freizeit und seinen Urlaub nicht durch berufliche Telefonate oder E-Mails stören lassen
- lieber mehrere Kurzurlaube als einen langen Urlaub machen, da beide in gleichem Ausmaß erholsam sind und der Erholungseffekt bei beiden nur ein bis zwei Wochen anhält
- die Erholung sollte sowohl einen passiven, als auch einen aktiven Charakter haben
- unterstützende soziale Beziehungen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Erholung.
Erholungsprogramme am Arbeitsplatz
Es ist anzunehmen, dass es Menschen gibt, die wenig darüber wissen, wie sie sich erholen können bzw., dass Erholung notwendig ist. Dieser Tatsache sollte man durch eine bessere Kommunikation von Forschungsergebnissen und dem Einüben von Erholungsstrategien begegnen. In welchem Rahmen könnten diese Erholungsprogramme angeboten werden? Da von guter Erholung sowohl der oder die Einzelne als auch das Unternehmen profitieren, wäre es nahliegend Erholungsprogramme am Arbeitsplatz anzubieten.
Nach einer Analyse des individuellen Erholungsverhaltens, z.B. mit dem REQ (Sonnentag & Fritz, 2007) oder mit dem Online-Erholungstest der AOK von Prof. Allmer; können in Unternehmen folgende verhaltenspräventive und verhältnispräventive Maßnahmen zur Förderung der Erholungszeiten organisiert werden.
Maßnahmen der Regeneration im Unternehmen
• Entspannungsmethoden und Stressbewältigungstechniken (z.B. Bauchatmung),
• Ruheräume (mit visuellen Entspannungssystemen, wie z.B. dem Brain-Light-System)
• verbesserte (aktive) Pausengestaltung (z.B. durch Business-Yoga, Fit@Work),
• Überstundenregelungen und -kontrolle (z.B. durch Software-Programme),
• Regelungen zur mobilen Erreichbarkeit (z.B „Grundregelung der Kommunikationskultur mit modernen Medien„)
• Maßnahmen zur besseren Trennung von Arbeit und Freizeit (z.B. Audit Beruf & Familie) und
• Arbeitsplatzgestaltung, die mehr Erholung ermöglicht (z.B. Farben, Licht, Belüftung).
Zusammenfassung zur optimalen Erholung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Konzept der Erholung ausreichend wissenschaftlich definiert ist. Zudem lässt es sich auf eine messgenaue und ökonomische Art und Weise erfassen, z.B. mit dem Recovery Experience Questionnaire von Sonnentag und Fritz (2007). Die Qualität der individuellen Erholung steht mit situativen Variablen des Berufs und individuellen Stressbewältigungsstilen in Beziehung und scheint einen Einfluss auf vielfältige Variablen des psychischen Wohlbefindens und auf die Gesundheit zu haben. Folglich kann angenommen werden, dass ein enger Zusammenhang zwischen angemessener Erholung und der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Beruf besteht. Daher erscheint es ratsam, Schulungen zur Verbesserung der Erholungsfähigkeit anzubieten und/oder die Arbeitsbedingungen im Sinne einer besseren Erholung zu verändern.
Autorin: Marie Klippel, Humboldt-Universität zu Berlin, 2013
Veröffentlichung: Artikel im Rahmen des Young-Health-Experts-Programms der UBGM
Quellen:
Allmer, H. (1996). Erholung und Gesundheit. Göttingen: Hogrefe Verlag.AOK: Erholungsstrategien-Test.
Online im Internet: www.aok.de/bundesweit/gesundheit/testen-sie-sich-test-erholungsbeduerftigkeit-14882.php (Stand: 20.01.2013).
Hobfoll, S. E. (1998). Stress, culture, and community: The psychology and physiology of stress. New York:
Plenum Press.Kölner Institut für angewandte Gesundheitswissenschaften: Erholen Sie sich gut? Ergebnisse eine Internetbefragung.
Online im Internet: www.gesund-ev.de/essg.htm (Stand: 13.01.2013). Meijman, T. F., & Mulder, G. (1998). Psychological aspects of workload. In P. J. D. Drenth & H. Thierry (Eds.),
Handbook of work and organizational psychology (Vol. 2: Work psychology, 5–33). Hove, England:
Psychology Press. Sonnentag, S. & Fritz, C. (2007). The Recovery Experience Questionnaire: Development and Validation of a Measure for Assessing Recuperation and Unwinding from Work. Journal of Occupational Health Psychology, 12 (3), 204-221.
Trenberth, L., Dewe, P., & Walkey, F. (1999).
Leisure and its role as a strategy for coping with work stress. International Journal of Stress Management, 6(2), 89-103.
Wieland-Eckelmann, R. (1994).
Erholungsforschung: Beiträge der Emotionspsychologie, Sportpsychologie und Arbeitspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.
Wirtschaftspsychologie aktuell:
Lernen von Sabine Sonnentag: Die optimale Erholung. Online im Internet: www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de/lernen/lernen_20080619_Sabine_Sonnentag_ Die_optimale_Erholung.html (Stand 13.01.2013)
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