Gesünder durch Corona? – Krankmeldungen auf Rekordtiefstand

Berlin, 15.7.20: Bezugnehmend auf einen kürzlich erschienenen Artikel der Zeitschrift „Spiegel“ haben die Fehlzeiten der Versicherten der Techniker-Krankenkasse im Monat Mai 2020 den niedrigsten Wert seit 10 Jahren erreicht.

Neben den Gründen, die der Vorsitzende der Techniker Krankenkasse Jens Baas nennt, wie die mit der Corona-Pandemie im Zusammenhang stehenden „verbesserten Hygienemaßnahmen, vermehrte Homeoffice-Tätigkeiten oder den Rückgang von Sport-, Schul-, und Wegeunfällen“ wird ebenso der Aspekt der Unsicherheit auf dem aktuellen Arbeitsmarkt aufgeführt.

 


Krank im Home-Office einfacher als krank im Büro

Der erste Eindruck, der vermittelt, dass die aktuellen Reglementierungen dafür sorgen, dass Arbeitnehmer tatsächlich „gesünder“ sind, ist jedoch kritisch zu reflektieren.

Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschlands e.V. postuliert, dass Arbeitnehmer bei einer leichten Erkrankung eher noch im Home-Office arbeiten, unter gleichen Umständen aber nicht zur Arbeit in die Betriebsstätte gegangen wären, beispielsweise aus Nachsicht, die Kollegen nicht anzustecken (vgl. Lutz, 2019).

 


Angst vor Arbeitsplatzverlust senkt Fehlzeitenquote

Einerseits spielt in der aktuellen Zeit sicherlich die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust eine Rolle, andererseits aber auch der oftmals geringfügigere Arbeitsumfang aufgrund der Kurzarbeit- Regelungen. Die herabgesenkte wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer könnte wohl dazu führen, dass viele Arbeitnehmer einen gar „umstrittenen Eifer“ in dem Sinne von „Die paar Stunden bekomme ich schon hin“ entwickeln. Des Weiteren kann eine Arbeitsatmosphäre in den eigenen Wohnräumen dazu verleihen, eine „persönliche Schutzbarriere“ aufzubauen, in welcher auch in einem beeinträchtigten Gesundheitszustand dank Zoom- Calls, Skype- Meetings oder Telefonkonferenzen ohne Infektionsrisiko gearbeitet werden kann. Somit lässt sich abermals vermuten, dass Arbeitnehmer durch das veränderte Arbeitsumfeld in den eigenen vier Wänden nicht „gesünder“ sind sondern viel mehr eine größere Hemmschwelle gegen das Einreichen einer Krankmeldung aufgebaut wird.
Wissenschaftliche Erkenntnisse weisen sogar darauf hin, dass Mitarbeiter im Home Office eher zu einer Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens neigen (Waltersbacher, Maisuradze, Schröder, 2019, 97). Ein Grund hierfür kann die Schwierigkeit sein, im Home-Office eine Abgrenzung von privatem und beruflichen Geschehen zu realisieren (Waltersbacher, Maisuradze, Schröder, 2019, 80). Lange Arbeitszeiten und die fehlende Trennung von Arbeitsstätte und Wohnort können eine ausreichende Erholung verhindern, welche laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auch nicht durch eine durch das Home Office bedingte Ressource, wie die Zeitautonomie, ausgeglichen werden könne (BAUA, 2017, 22).

Folgen hiervon können psychische Belastungen der Arbeitnehmer sein, die den Arbeitgeber langfristig unter enorme Herausforderungen und Kosten durch die häufig langfristigen Arbeitsunfähigkeiten stellen. Nach Angaben des Gesundheitsreports der Techniker Krankenkasse bedingten psychisch bedingte Erwerbsunfähigkeiten im Jahr 2019 durchschnittlich 44 Tage der Arbeitsunfähigkeit bei Männern und 42 Tage bei Frauen (vgl. TK, 2020, 22). Im Vergleich zu dem Vorjahr sind die Fehlzeiten aufgrund von psychischen Störungen im Jahr 2019 bei Männern und Frauen insgesamt um 24% gestiegen (vgl. TK, 2020, 24).

 


Gefährdungsbeurteilung wird nicht konsequent umgesetzt

Im Bezug darauf bietet nur etwa die Hälfte von Unternehmen eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung, die sowohl physische als auch psychische Belastungen der Arbeitnehmer berücksichtigt, an (vgl. BAUA, 2017, 107). Seit dem Jahr 2013 ist die Gefährdungsbeurteilung durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtend für Arbeitgeber durchzuführen, dazu gehört auch die Beurteilung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz (GDA-Arbeitsprogramms Psyche, 2017, 5).

Insgesamt wird durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) vor dem Hintergrund der steigenden psychischen Beeinträchtigungen von Mitarbeitern ein Optimierungsbedarf von präventiven Maßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt aufgezeigt (vlg. BAUA, 2017, 119).

 


Autorin: Sina Dillenberger (BSc) „Gesundheit & Pflege“


 

Literaturverzeichnis

  • BAuA. (2017). Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
  • GDA- Arbeitsprogramms Psyche. (2017). Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Berlin: Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie: Arbeitsprogramm Psyche des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
  • Lutz, A. (2019). AOK-Studie: Ist Home-Office gesundheitsschädlich? Online Veröffentlichung. Retrieved from: https://www.vgsd.de/aok-studie-ist-home- office-gesundheitsschaedlich/
  • Spiegel Wirtschaft. (2020). Zahl der Krankmeldungen im Mai auf Rekordtief. Online Veröffentlichung. Retrieved from: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zahl-der-krankmeldungen-im-mai- auf-rekordtief-a-62994f4b-1d61-4eab-a6ee- a471746040c1?xing_share=news#ref=rss
  • Waltersbacher, A., Maisuradze, M. & Schröder, H. (2019). Arbeitszeit und Arbeitsort – (wie viel) Flexibilität ist gesund? In: B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer: Fehlzeiten- Report 2019: Digitalisierung- gesundes Arbeiten ermöglichen. Berlin: Springer Verlag GmbH.
  • Techniker Krankenkasse. (2020). Gesundheitsreport 2020 – Arbeitsunfähigkeiten. Hamburg: TK.

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