Wenn Gedanken krank machen – Non-Stop-Aktivierung & Zukunftsängste

Wie die Gedanken den Körper angreifen

Fast jeder 2. empfindet die Arbeit als wesentlichen Stressfaktor

2015 gaben 65% der Befragten in der alljährlichen Studie der American Psychological Association zum Thema Stressbelastung an, dass ihr Job eine maßgebliche Ursache für Stress ist (APA, 2016). Ähnliche Ergebnisse wurden auch in einer Befragung durch die Techniker Krankenkasse in Deutschland ermittelt: 2016 empfand mit 46% (54% der Männer und 39% der Frauen) fast jeder zweite Befragte die Arbeit als wesentlichen Stressfaktor (TK, 2016). Allgemein wird Stress definiert als physischer, chemischer, oder emotionaler Faktor, der zu körperlicher oder mentaler Anspannung führt (Merriam-Webster Online Dictionary, 2016). Die Resultate der zuvor genannten Studien sind Teil eines lang anhaltenden Trends: Viele Arbeitnehmer fühlen sich in ihrem Beruf überlastet und befürchten, dass die Anspannung sich negativ auf ihre Gesundheit auswirkt (APA, 2016).

 


Konstante Aktivierung führt zur Erschöpfung

Unbegründet sind diese Sorgen nicht. Schon lange ist bekannt, dass übermäßiger und vor allem chronischer Stress eine Vielzahl negativer Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit hat. So zeigen Studien, dass ein hohes Maß an Stress oft die Ursache für Depressionen, Angstörungen, und somatische Beschwerden, vor allem in Bezug auf das Herz-Kreislaufsystem ist (Nieuwenhuijsen, Bruinvels, & Frings-Dresen, 2010; Rozanski, Blumenthal, & Kaplan, 1999). Der Grund für die schädliche Wirkung von chronischem Stress wurde bereits 1936 von Hans Selye, dem Gründervater moderner Stressforschung, beschrieben. In seiner Publikation nutzt Selye (1936) den Ausdruck „General Adaptation Syndrome“ (GAS) um zu beschreiben wie die konstante Aktivierung der physiologischen Stressreaktion nach und nach Resourcen erschöpft und den Körper auslaugt. Wie auch Selyes Erkenntnisse basieren viele Forschungsergebnisse in der frühen Stressforschung auf Tierversuchen. Ein Nachteil daran ist, dass psychologische Aspekte möglicherweise nicht die Aufmerksamkeit erhalten haben, die ihnen gebührt.

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Wie Gedanken kranken machen

Ein Faktor, der in den letzten Jahren viel Beachtung gefunden hat, weil er in Tierversuchen nicht repliziert werden kann, hängt mit der Tendenz des Menschen zusammen, nicht nur im hier und jetzt zu leben, sondern sich auch um Zukunft und Vergangenes Gedanken zu machen. Die Fähigkeit, mentale Repräsentationen von potenziellen und vergangenen Stresssituationen zu kreieren, ist mittlerweile im Verdacht, wichtiger Teil des Prozesses zu sein, durch den (Arbeits-)Stress der Gesundheit schadet. Denn der Körper unterscheidet nicht zwischen realem und imaginären Stress: Nur der Gedanke an einen Streit mit Kollegen führt zu einer ähnlichen physiologischen Reaktion wie ein tatsächliches Streitszenario.
Dieser Erkenntnisse wurden von Brosschot, Gerin und Thayer (2006) in der sogenannten „Perseverative Cognition Hypothesis“ zusammengefasst. Kerngedanke der Theorie ist, dass die Verarbeitung vergangener und Erwartung zukünftiger Stresssituationen zu einer ähnlichen Dauerbelastung führt wie tatsächlicher Stress und somit für einen Großteil der aus chronischem Stress resultierenden Krankheiten verantwortlich ist. „Perseverative Cognition“ bedeutet hier in etwa wiederkehrende, sich wiederholende Gedanken, oder Grübelei. Ein wichtiger Aspekt der Theorie ist auch, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem „sich Sorgen machen“ und der Unsicherheit oder Unkontrollierbarkeit der jeweiligen Situation besteht (Brosschot, Gerin, & Thayer, 2006). Im Bezug auf den Arbeitsplatz bedeutet das, dass Jobs, die besonders wenig Handlungsfreiräume und Autonomie auf Seiten des Arbeitnehmers bieten, ein hohes Risiko darstellen.
Neueste Forschungsergebnisse scheinen die Theorie zu bestätigen. So wurde in einer kürzlich veröffentlichten Meta-Analyse festgestellt, dass intensives und häufiges Grübeln mit einer Anzahl Indikatoren für kardiovaskuläre Erkrankungen zusammenhängt (Ottaviani, et al., 2015). Erschwerend kommt dabei hinzu, dass wiederkehrende Sorgen auch oft mit gesundheitsschädlichen Lebensgewohnheiten wie Alkohol- und Tabakkonsum und ungesunder Ernährung einhergehen (Clancy, Prestwich, Caperon, & O’Connor, 2016). „Perseverative cognition“ stellt damit ein doppeltes Gesundheitsrisiko dar.

 


Lösungsansätze

Was können Arbeitnehmer und und Führungskräfte tun, um gesundheitsschädliche Einflüsse zu minimieren?

  • Offene Kommunikation – Wie bereits erwähnt gibt es klare Verbindungen zwischen dem Grad an Unsicherheit oder Unkontrollierbarkeit in einem Job und der Tendenz, sich permanent zu sorgen. Eine im Prinzip sehr einfache (in der Praxis jedoch oft unterschätzte) Lösung ist eine offene Kommunikation mit den Angestellten. Wenn Mitarbeiter eine klare Vorstellung von Erwartungen Anderer haben und regelmäßig Feedback erhalten, gibt das ein Gefühl von Kontrolle. Der/die Angestellte weiß um die Anforderungen, die an ihn/sie gestellt werden und kann entsprechend handeln. Gut informierten Mitarbeitern mag es so leichter fallen, zuhause abzuschalten und die Sorgen rund um den Job zumindest in überschaubaren und realistischen Maßen zu halten.

 

  • Sorgen-Management – Basierend auf den Annahmen und Erkenntnissen der „Perseverative Cognition Hypothesis“ wurde ein Fragenprotokoll entwickelt, das auf einen strukturierten und zielorientierten Umgang mit alltäglichen Sorgen abzielt (Verkuil, Brosschot, Korrelboom, Reul-Verlaan, & Thayer, 2011). So beantworteten Freiwillige in einem Experiment verschiedene Fragen über derzeitige Lösungsmöglichkeiten, potenzielle Unterstützer im Angehen der Sorgen und das gewünschte Resultat (wann und wo das Problem gelöst werden kann, was das Ziel ist). Die Ergebnisse des Versuchs zeigen, dass diese täglichen Übungseinheiten der Stressbewältigung zugute kommen. Entsprechend können Führungskräfte und Mitarbeiter von Workshops beispielsweise zum Thema Sorgen-Management profitieren.

 

  • Achtsamkeit – Heutzutage so etwas wie die Allzweckwaffe im Kampf gegen Überlastung und Stress, können auch im Fall exzessiven Grübelns Achtsamkeitsübungen von Vorteil sein. Da Achtsamkeit den Fokus auf das Hier und Jetzt lenkt und eine neutrale, entspannte Grundhaltung fördert, stellen entsprechende Angebote einen guten Konter gegen Arbeitsstress dar. Tatsächlich belegen Studien, dass Achtsamkeit zuverlässig Sorgen und kreisende Gedanken zu reduzieren vermag (Gu, Strauss, Bond, & Cavanagh, 2015). Arbeitnehmer (und Führungskräfte) können hier zum Beispiel auf eine der zahlreichen, teilweise kostenlosen Smartphone-Apps zurückgreifen, um sich in Achtsamkeit zu schulen.

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Fazit

Stress im Job ist in zunehmendem Maße ein Problem für viele Arbeitnehmer. Besonders die Tendenz, sich auch nach Feierabend und über den Tag hinweg über die Arbeit zu sorgen kann dabei zu chronischer Überlastung führen und gesundheitsschädliche Konsequenzen haben. Offene Kommunikation, Achtsamkeitsübung und ein bewusster Umgang mit alltäglichen Sorgen sind Wege, durch die Arbeitnehmer und Führungskräfte profitieren können. Abschließend noch eine Klarstellung: Stress ist nicht per se schädlich, sondern ermöglicht auch gesteigerte Leistung und motiviert zur Anstrengung. In diesem TED Talk erklärt die Gesundheitspsychologin Kelly McGonigal wie man Stress nutzen kann.

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