Multitasking – Der Mythos & seine Grenzen

Multitasking verstehen – Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen!

Eine Arbeitswelt im Wandel – immer, schneller, überall

Der Stressreport¹, eine Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, informiert über die heutigen Arbeitsbedingungen. Er ergab: Die am häufigsten benannte Arbeitsanforderung ist die gleichzeitige Betreuung mehrerer, verschiedenartiger Aufgaben. Fast 60% der Befragten seien dieser Anforderung oft ausgesetzt.

Weil Multitasking mit psychischen Belastungen in Verbindung gebracht wird, wird es in der Angewandten Psychologie zunehmend erforscht². Multitasking zu verstehen ermöglicht es, Kompetenzen im Umgang mit den heutigen Arbeitsanforderungen zu entwickeln und eigene Spielräume zu erkennen. Es zeigt, dass wir achtsam mit unseren kognitiven Ressourcen umgehen sollten.

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Mit der starken Verbreitung moderner Kommunikationsmedien haben sich die Anforderungen der (Büro-)Arbeit spürbar verändert: Smartphones und Co. ermöglichen die dauernde Verfügbarkeit von Informationen und deren unbegrenzten Austausch. Der Umgang mit dieser Informationsflut stellt den Menschen aber auch vor Herausforderungen, wie dem Trend zur ständigen Erreichbarkeit und einer deutlichen Entgrenzung zwischen Arbeits- und Freizeit. Auch Multitasking wird häufig in diesem Kontext genannt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird es als gleichzeitiges Ausführen mehrerer Tätigkeiten verstanden.

 


… gleichzeitig, aber das hat Grenzen – Eine wissenschaftliche Perspektive

Die Annahme von „Gleichzeitigkeit“ ist auf Basis kognitionspsychologischer Erkenntnisse jedoch nur begrenzt gültig. Ein gängiges Erklärungsmodell basiert auf unterschiedlichen, unabhängigen Verarbeitungsressourcen und einer übergeordneten Aufmerksamkeitskapazität, welche die Nutzung der Ressourcen moderiert³. Die Simultanität mehrerer Aufgaben hängt von dem Ressourcenbedarf der einzelnen Aufgabe ab. Dieser wird maßgeblich durch die Komplexität, die Routiniertheit der Ausführung und die Ähnlichkeit der Aufgaben bestimmt. Leichte Aufgaben, die unterschiedliche Ressourcen benötigen, sind grundsätzlich am besten kombinierbar. Die Verarbeitung komplexer Informationen wird erst durch unsere fokussierte Aufmerksamkeit möglich. Weil sie begrenzt ist, wird es mit steigender Komplexität schwerer Aufgaben zu kombinieren. Deshalb sind wir bei komplexen Aufgaben gezwungen, zwischen diesen zu springen. Wissenschaftler definieren Multitasking daher als Strategie, mehrere Tätigkeiten in einem begrenzten Zeitraum parallel zu bewältigen².

Eine Mitarbeiterin versucht, während eines Meetings parallel ihre E-Mails zu bearbeiten. Trotz unterschiedlicher Sinnesmodalitäten (auditiv vs. visuell) konkurrieren jedoch beide Aufgaben um dieselben Verarbeitungsressourcen (sprachlich). Daher fokussiert sie die Aufgaben im schnellen Wechsel. Wenn ihre Aufmerksamkeit auf die Mails gerichtet ist, kann sie jedoch nicht gleichzeitig dem Gesprochenen folgen.

 


Auswirkungen von Multitasking und Arbeitsunterbrechungen

Um Tätigkeiten auszuführen, müssen diese geplant, durchgeführt und dabei fortwährend überwacht werden. Multitasking beansprucht unser Gehirn durch die ständigen Wechsel zwischen den Aufgaben stärker als eine aufeinanderfolgende Bearbeitung. Gleiches gilt für Arbeitsunterbrechungen, bei denen wir durch äußere Einflüsse zum Wechseln gezwungen werden. Mit jedem Wechsel muss die vorher ausgeführte Aufgabe aktiv gehemmt werden, ihr aktueller Bearbeitungsstand aber trotzdem im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden und bei der Rückkehr abgerufen bzw. neu erarbeitet werden. Je länger die Intervalle zwischen den Aufgaben und je komplexer die Aufgaben, desto schwieriger ist es, zwischen Aufgaben zu wechseln.

Obwohl Multitasking als Strategie um Zeit zu sparen genutzt wird, wird es insgesamt mit einer Abnahme der Leistung in Verbindung gebracht, insbesondere bei anspruchsvollen Aufgaben. Wiederholt wurden in Studien eine Zunahme an Fehlern und höhere Reaktionszeiten beobachten. Unterbrechungen bergen außerdem das Risiko, wichtige Aufgaben komplett zu vergessen. Die potenziellen Folgen von Multitasking werden dabei von einigen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören die Dauer der simultanen Arbeit, aber auch der individuelle Handlungsspielraum. In einer Studie mit kurzfristigen Multitasking-Anforderungen konnte zum Beispiel die Leistung durch höhere Anstrengung erhalten werden. Gleichzeitig zeigte sich eine kurzfristige Abnahme erlebter Monotonie und Müdigkeit. Eine andauernde erhöhte Beanspruchung führt hingegen zu einer Zunahme an Stress, unvollendete Aufgaben zur dauerhaften gedanklichen Weiterbeschäftigung.

 


4 Strategien für den Arbeitsalltag

 

TIP

 Bewusstsein schärfen – Es ist wichtig, sich seiner Angewohnheiten bewusst zu werden, um sie prüfen und verändern zu können. Für den Umgang mit Smartphones existieren dafür zum Beispiel Apps, die das eigene Nutzungsverhalten aufzeichnen.

Das ständige Abrufen von E-Mails ist einer der großen Zeitdiebe. Die Leichtigkeit, mit der wir heute durch E-Mails kommunizieren können, hat zu einer immensen Flut an Nachrichten geführt. „Kurz die E-Mails lesen“ und plötzlich ergeben sich daraus viele neue Aufgaben. In welchen Situationen kommen Multitasking und Arbeitsunterbrechungen im Arbeitsalltag vor? Bestehen Spielräume, diese Situationen zu ändern? Stellen sie eine nötige Abwechslung dar oder hindern sie uns daran, produktiv zu sein und wichtige Aufgaben zu erledigen?

 


 

TIP

 Phasen fokussierten Arbeitens – Es sollten feste Zeiten für ungestörtes Arbeiten reserviert werden. So ist z.B. das Einführen von festen Telefonzeiten zu empfehlen. Wiederum existieren auch eine Reihe von praktischen Apps, die das fokussierte Arbeiten direkt unterstützen, indem für gewisse Zeitfenster bestimmte Anwendungen (Emailprogramme, Internetseiten, etc.) blockiert bzw. die eigene Erreichbarkeit eingeschränkt werden.

Mit Ablenkungen und Störungen umzugehen, erfordert hohe Selbstdisziplin. Auch deshalb, weil unser Gehirn besonders durch neuartige Reize leicht abzulenken ist. Je komplexer eine Aufgabe ist, desto mehr kognitive Ressourcen werden jedoch nach einer Unterbrechung für ihre Wiederaufnahme in Anspruch genommen. Wichtige, komplexe Tätigkeiten sollten deshalb möglichst geschützt vor Ablenkungen und Unterbrechungen erledigt werden, damit wir am Ende des Tages nicht unvollendeter Dinge, erschöpft und unzufrieden nach Hause gehen. Eine ständige Erreichbarkeit muss daher kritisch hinterfragt werden. Um uns nicht in Versuchung zu bringen, ist es sinnvoll sie von außen zu begrenzen.


 

TIP

Arbeitsroutinen wirken entlastend –  Ein regelmäßiger Wechsel zwischen anspruchsvollen und einfachen Aufgaben sowie regelmäßige Pausen sollten eingehalten werden. Dafür eignen sich besonders Tätigkeiten wie das Sortieren von Unterlagen oder E-Mails nach einer festen Struktur.

Nach geistig beanspruchenden Arbeitsphasen brauchen wir Pausen, um uns zu erholen. Auch in der Beschäftigung mit Routinetätigkeiten können wir unsere Ressourcen schonen, weil sie weniger Aufmerksamkeit benötigen. Das Entwickeln von Routinen wirkt entlastend und hilft dabei, einen Überblick zu behalten.

 

 


 

TIP

Tätigkeitswechsel bewußt steuern –Aufgabenwechsel erfolgen am besten nach der Beendigung von Teilaufgaben. Um das Gedächtnis zu entlasten, können wir außerdem sogenannte „externe Speicher“ nutzen. Mit übersichtlichen Notizen, Skizzen und Grafiken wird der Wiedereinstieg erleichtert und es gerät nichts in Vergessenheit.

Bei Wechseln mitten in einer Aufgabe ist es schwerer später zu ihr zurückzukehren. Es müssen deutlich mehr Gedankengänge nachvollzogen werden. Deshalb sollten Aufgabenwechsel nach Möglichkeit bewusst gewählt und zu günstigen Zeitpunkten erfolgen. So können wir uns besser von Aufgaben lösen.

 


 

Fazit

„Wir behalten von unseren Studien am Ende doch nur das, was wir praktisch anwenden.“ (Johann Wolfgang Goethe)

Statt Multitasking und Unterbrechungen zu verteufeln, sollten wir versuchen, die grundlegenden Mechanismen zu verstehen und entsprechende Fertigkeiten einzuüben. So können wir lernen, achtsamer mit unseren begrenzten Ressourcen umzugehen, Stress zu reduzieren und wichtige Aufgaben erfolgreich zu bewältigen.

 


Autorin: Chantal Obry, Psychologin

 


Quellen und Literaturvorschläge

¹ Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden

² Ein guter Überblick über den aktuellen Forschungsstand: Zimber, A. & Rigotti, T. (2015). Multitasking. Komplexe Anforderungen im Arbeitsalltag verstehen, bewerten und bewältigen. Reihe „Managementpsychologie“. Göttingen: Hogrefe.

³ Wickens, C. D. (2002). Multiple resources and performance prediction. Theoretical issues in ergonomics science, 3(2), 159-177.

 

– Rubinstein, J. S., Meyer, D. E., & Evans, J. E. (2001). Executive control of cognitive processes in task switching. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 27(4), 763.

– http://beste-apps.chip.de/android/app/qualitytime-android app,com.zerodesktop.appdetox.

– http://www.chip.de/artikel/Twitter-Facebook-YouTube-und-Co.-blockieren-5_62464363.html Weitere Literatur-Tipps: Gesund trotz Multitasking: Selbstmanagement für den Berufsalltag.

 


Weitere Literatur-Tipps:

  • Ein Video von Earl Miller, Professor für Neurowissenschaften, zeigt musterhaft, wie zwei Aufgaben einzeln noch so einfach sein können, ein Wechsel zwischen den Aufgaben trotzdem schwerfallen kann. ( – Min. 1:20)
  • Levitin, Daniel. J.: The organized mind. Thinking straight in the age of information overload.
  • Levitin, Daniel. J.: The organized mind. Thinking straight in the age of information overload.
  • Zimber, A. (2016). Gesund trotz Multitasking: Selbstmanagement für den Berufsalltag. Springer-Verlag.
  • Freude, G., & Ullsperger, P. (2010). Unterbrechungen bei der Arbeit und Multitasking in der modernen Arbeitswelt – Konzepte, Auswirkungen und Implikationen für Arbeitsgestaltung und Forschung. Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie, 60(4), 120-128.
  • Baethge, A. (2010). Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Ein umfassender Überblick zu Theorien und Empirie unter besonderer Berücksichtigung von Altersdifferenzen

 

4.33/5 (15)

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